Martina Feichter, Medizinredakteurin und Biologin
Hirnvenenthrombose
Kurzübersicht- Beschreibung: Teilweiser oder vollständiger Verschluss einer Vene im Gehirn durch ein Blutgerinnsel (Blutpfropf). Hirnvenenthrombosen sind selten.
- Symptome: Unter anderem Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, neurologische Ausfälle (z.B. motorische Störungen), Bewusstseinsstörungen
- Ursachen: Aseptische Hirnvenenthrombose (z.B. durch hormonelle Faktoren, Neigung zu Blutgerinnseln, Blut-Erkrankungen oder ? sehr selten ? nach einer Corona-Impfung), septische Hirnvenenthrombose (durch Infektionen wie Mittelohr- oder Mandelentzündung, Covid-19, Hepatitis, Tuberkulose)
- Diagnose: Bildgebung des Gehirns (CT- oder MRT-Aufnahmen) mit Kontrastmittel
- Behandlung: Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten (Heparin, Vitamin-K-Antagonisten), Behandlung der Grunderkrankung bei septischer Hirnvenenthrombose (Antibiotika, ggf. Operation), weitere Maßnahmen nach Bedarf, z.B. Medikamente gegen epileptische Anfälle, Hirndrucksenkung (Oberkörper hochlagern, ggf. Operation), Schmerzmittelgabe
- Prognose: Die Hirnvenenthrombose ist eine gefährliche und potenziell tödliche Erkrankung; dennoch gute Prognose bei richtiger Behandlung.
- Prophylaxe: Gerinnselbildung vorbeugen durch Vermeidung von Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, fettreiche Ernährung, Bewegungsmangel
Was ist eine Hirnvenenthrombose?
Bei einer Hirnvenenthrombose kommt es durch ein Blutgerinnsel (Blutpfropf, Thrombus) zu einem teilweisen oder vollständigen Verschluss einer Vene im Gehirn. Die Hirnvenen durchziehen das gesamte Gehirn wie eine Art Netz. Sie sammeln das sauerstoffarme Blut aus dem Gewebe und transportieren es ab in Richtung Herz.
Gefährlich ist es, wenn eines der Gefäße ganz oder teilweise durch ein Gerinnsel verschlossen ist. Dann fließt das Blut im entsprechenden Bereich nicht mehr ab und staut sich.
Oft kommt es gleichzeitig auch an einer anderen Stelle zu einem Blutstau. Eine Hirnvenenthrombose tritt häufig gemeinsam mit einer Sinusthrombose auf. Das ist ein gerinnselbedingter Verschluss (Thrombose) von einem oder mehreren Hirnblutleitern (Hirnsinus).
Die Hirnblutleiter sind Hohlräume zwischen zwei Blättern der harten Hirnhaut (Dura mater). Sie leiten venöses Blut aus dem Gehirn, den Hirnhäuten und den Augenhöhlen in die innere Drosselvene (diese nimmt auch das Blut aus diversen Hirnvenen auf).
Im Gegensatz zu Venen haben Hirnblutleiter starre Wände, sie können sich also nicht komprimieren, und es fehlen ihnen Venenklappen.
Die Kombination aus Hirnvenenthrombose und Sinusthrombose bezeichnen Mediziner als Sinusvenenthrombose. Zusammengefasst spricht man von zerebralen Sinus- und Venenthrombosen (engl. cerebral venous sinus thrombosis, CVST).
Mögliche Folgen des gestörten venösen Abflusses
Die Hirnvenenthrombose, beziehungsweise Sinusvenenthrombose, verhindert den Abfluss von venösem Blut. Das kann schwerwiegende Folgen haben:
Der Blutstau lässt den Druck im Gehirn ansteigen, wodurch Hirnarterien ?zusammengepresst? werden. Diese versorgen die nachgeschalteten Hirnareale nicht mehr ausreichend mit frischem, sauerstoffreichem Blut. Dann droht ein sogenannter ischämischer Schlaganfall (Schlaganfall durch Minderdurchblutung).
Außerdem kann durch den Blutstau und den entstehenden Druckanstieg Flüssigkeit aus den Gefäßen in das umliegende Gewebe übertreten. Das zieht eine Hirnschwellung (Hirnödem) nach sich.
Durch das angestaute Blut kann es auch zu einer Blutung (Stauungsblutung) kommen. Das liegt daran, dass der Blutstau das Blut aus den kleinsten venösen Gefäßen presst.
Hirnvenenthrombose: Häufigkeit ist gering
Angaben zur Häufigkeit von Hirnvenenthrombosen beziehungsweise Sinusvenenthrombosen variieren. Beispielsweise kamen Untersuchungen an verstorbenen Patientinnen und Patienten zu schätzungsweise drei bis vier Fällen von zerebralen Sinus- und Venenthrombosen pro Million Einwohnern und Jahr. Dagegen ergaben klinische Untersuchungen zehnfach höhere Fallzahlen.
Unabhängig von den genauen Zahlen gilt: Hirnvenenthrombosen beziehungsweise Sinusvenenthrombosen sind seltene Ereignisse. Ein gehäuftes Vorkommen beobachtet man unter Kindern, jungen Erwachsenen, Frauen im fruchtbaren Alter sowie in Ländern mit geringem Einkommen.
Ein Schlaganfall infolge einer Hirnvenenthrombose beziehungsweise Sinusvenenthrombose ist eine seltene Sonderform der Erkrankung ? er macht nur etwa 0,5 bis ein Prozent aller Schlaganfälle aus. Weitaus häufiger (mit ca. 80 Prozent) ist der klassische ischämische Schlaganfall, der auf dem gerinnselbedingten Verschluss einer Hirnarterie beruht. Am zweithäufigsten sind Schlaganfälle durch Hirnblutung.
Hirnvenenthrombose: Symptome
Die Symptome bei einer Hirnvenenthrombose stellen sich meist schleichend ein. Dazu gehören beispielsweise:
- Kopfschmerzen variabler Stärke oder Region (häufigstes Symptom)
- Epileptische Anfälle (Krampfanfälle)
- Neurologische Ausfälle je nach Ort der Thrombose, z.B. motorische Störungen (wie Hemiparese, also Halbseitenlähmung, oder Monoparese, also Schwäche/Lähmung in einer Extremität oder einem Extremitätenteil), Sprachstörung (Aphasie)
- Sehstörung, Stauungspapille (Schwellung der Papille, das ist die Stelle am Augenhintergrund, wo der Sehnerv entspringt)
- Übelkeit
- Erbrechen
- Bewusstseinsstörungen
Das Beschwerdebild einer Hirnvenenthrombose beziehungsweise Sinusvenenthrombose fällt sehr unterschiedlich aus. Das betrifft nicht nur die Art, sondern auch die Stärke der Symptome.
Wenn Sie solche Beschwerden bei sich selbst oder einer anderen Person bemerken, suchen Sie umgehend einen Arzt oder eine Klinik auf. Der Zustand kann lebensbedrohlich sein!
Hirnvenenthrombose: Ursachen und Risikofaktoren
Man unterscheidet zwei Hauptgruppen von Hirnvenenthrombose beziehungsweise Sinusvenenthrombose ? je nach der zugrundeliegenden Ursache:
Aseptische (blande) Hirnvenenthrombose
Meistens wird eine Hirnvenenthrombose (Sinusvenenthrombose) nicht durch eine Infektion verursacht. Ärzte bezeichnen sie dann als aseptisch oder bland.
In den meisten Fällen spielen bei der Krankheitsentstehung hormonelle Faktoren ursächlich oder begünstigend eine Rolle: So sind oft Frauen betroffen, die hormonelle Verhütungsmittel (?Pille?) einnehmen, schwanger oder im Wochenbett sind. Auch diejenigen, die aufgrund von Wechseljahresbeschwerden eine orale Hormonersatztherapie erhalten, erkranken häufiger als Frauen, die sich für eine transdermale Behandlung entscheiden.
Besonders riskant ist die Anwendung von oral eingenommenen Hormonpräparaten in Kombination mit Rauchen und/oder Übergewicht.
Häufiger tritt eine aseptische Sinus- bzw. Hirnvenenthrombose auch bei angeborener oder erworbener Neigung zur Blutgerinnselbildung (Thrombophilie) auf. Davon betroffen sind zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit der Erbkrankheit Faktor-V-Leiden (APC-Resistenz).
Manchmal tragen Blut-Erkrankungen (hämatologische Erkrankungen wie Sichelzellanämie und Polycythaemia vera) oder bösartige Gewebsneubildungen (Malignome) zu einer aseptischen Sinus- bzw. Hirnvenenthrombose bei.
Außerdem begünstigen Gefäßentzündungen (Vaskulitiden) sowie Autoimmunerkrankungen die Thrombosebildung. So verursachen sie im Gehirn einen venösen Blutstau.
Bei etwa einem Viertel der Betroffenen lässt sich kein Grund für eine aseptische Sinus- oder Hirnvenenthrombose finden. Das bezeichnet man als idiopathisch.
Ganz selten treten Sinus- beziehungsweise Hirnvenenthrombosen nach einer Corona-Impfung auf. Weitere Informationen dazu finden Sie im Folgenden in diesem Artikel.
Septische Hirnvenenthrombose
Eine septische (infektiöse) Hirnvenenthrombose oder Sinusvenenthrombose wird, wie der Name sagt, durch eine Infektion ausgelöst. Manchmal ist eine lokale Infektion im Kopfbereich die Ursache, zum Beispiel:
- Mittelohrentzündung (Otitis media)
- Mandelentzündung (Tonsillitis)
- Entzündung des Warzenfortsatzes des Schläfenbeins (Mastoiditis)
- Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis)
- Entzündung der Mundschleimhaut (Stomatitis)
- Entzündung und/oder Abszess im Bereich des Kiefers und der Zähne
- Hirnabszess
- Hirnhautentzündung (Meningitis)
Daneben verursachen auch systemische Infektionen, die den ganzen Körper betreffen, eine Hirnvenenthrombose bzw. Sinusvenenthrombose, zum Beispiel:
- ?Blutvergiftung? (Sepsis)
- Herzinnenhautentzündung (Endokarditis)
- Typhus
- Tuberkulose
- Malaria
- Masern
- Infektionsbedingte Leberentzündung (Hepatitis)
- Infektionen mit Herpes-simplex-Viren
- Zytomegalie
- Covid-19
- Aspergillose (Pilzerkrankung)
- Trichinose (Wurmerkrankung)
Hirnvenenthrombose als Impfnebenwirkung
In sehr seltenen Fällen tritt eine Hirnvenenthrombose beziehungsweise Sinusvenenthrombose als Nebenwirkung der Impfung gegen das Coronavirus auf. Entsprechende Meldungen gibt es hauptsächlich zum Impfstoff von AstraZeneca. In manchen Ländern gibt es auch vereinzelte Berichte zu dem . In beiden Fällen handelt es sich um einen sogenannten Vektorimpfstoff.
Untersuchungen zufolge entwickelt sich bei einzelnen Betroffenen nach der Verabreichung eines dieser Impfstoffe ein sogenanntes Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS). Das sind Thrombosen in Kombination mit einem Blutplättchenmangel:
Der Körper bildet vermehrt spezielle Antikörper, die an den Blutplättchen (Thrombozyten) andocken. Diese werden dadurch aktiviert und verklumpen miteinander. Diese ?Klumpen? können dann die feinen Gefäße verstopfen ? zum Beispiel die Hirnvenen.
Bei dieser Reaktion handelt es sich um eine sogenannte ?Vakzin-induzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie? (VIPIT). Sie heißt in Fachkreisen auch VITT (impfstoffinduzierte immunthrombotische Thrombozytopenie).
Der Zusammenhang zwischen den Vektorimpfstoffen und der beschriebenen immuninduzierten thrombotischen Thrombozytopenie ist inzwischen nachgewiesen. Trotzdem handelt es sich hierbei um eine extrem seltene Komplikation der Impfung, die weniger als einmal pro 10.000 Menschen vorkommt, die mit einem Vektor-Impfstoff behandelt wurden.
Die Sinusvenenthrombose und die Hirnvenenthrombose konnte man nur als Nebenwirkung von Vektor-Impfstoffen beobachten. Bei den anderen Arten von Impfstoffen (z.B. mRNA-Impfstoffe und proteinbasierte Impfstoffe) ist diese Nebenwirkung nicht beschrieben.
Das Risiko einer Sinus-/Hirnvenenthrombose ist bei einer Coronavirus-Erkrankung (COVID-19) höher als nach einer Corona-Impfung. Das ergab eine Studie der Universität Oxford.
Hirnvenenthrombose: Diagnose
Die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) kann wertvolle Hinweise darauf geben, wodurch Beschwerden wie starke Kopfschmerzen und motorische Schwäche verursacht werden. Kann der Patient wegen Bewusstseinsstörungen keine Auskunft geben, fragt der Arzt nach Möglichkeit die Angehörigen nach den notwendigen Informationen. Wichtige Fragen sind zum Beispiel:
- Seit wann haben Sie Beschwerden? Welche Beschwerden sind das genau?
- Leiden Sie an Vorerkrankungen?
- Besteht derzeit eine Infektion, zum Beispiel mit Bakterien, Viren oder Parasiten?
- Hatten Sie vor Kurzem einen Infekt, etwa einen Schnupfen, eine Mittelohr- oder Nasennebenhöhlenentzündung?
- Wurden Sie vor Kurzem gegen das Coronavirus geimpft?
Bei Anzeichen einer Hirnvenenthrombose bzw. Sinusvenenthrombose muss schnellstens eine bildgebende Untersuchung des Schädels erfolgen! Computer- bzw. Magnetresonanztomografie gelten als wichtigstes diagnostisches Mittel.
Computertomografie (CT)
Die Computertomografie (CT) des Schädels mit Hilfe von Kontrastmittel zeigt mögliche Thrombosen im Gehirn.
Bei der Untersuchung dreht sich eine Röntgenröhre um den ruhig liegenden Patienten. Mithilfe der Röntgenstrahlen werden detaillierte Schnittbilder des Schädels erstellt. Die Hirngefäße sind besonders deutlich sichtbar, wenn vor der Untersuchung ein Kontrastmittel in eine Vene gespritzt wird.
Auf diese Weise kann man gut erkennen, ob eine Thrombose eine Hirnvene und/oder einen Hirnsinus ganz oder teilweise verschließt.
Magnetresonanztomografie (MRT)
Bei einer Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie) des Schädels mit Kontrastmittelgabe werden die Blutgefäße im Gehirn und mögliche Verschlüsse ebenfalls gut sichtbar.
Der Patient wird beim MRT auf einer Liege in das röhrenförmige MRT-Gerät gefahren und muss dort möglichst still liegen. Der Computer erstellt dann präzise Aufnahmen des Kopfes. Das macht er nicht mithilfe von Röntgenstrahlen, sondern mit Magnetfeldern und Radiowellen.
Anders als bei der Computertomografie ist der Patient bei der MRT also keiner Strahlenbelastung ausgesetzt. Deshalb klären Ärzte den Verdacht auf eine Hirnvenen- beziehungsweise Sinusvenenthrombose vor allem bei jüngeren Patienten und bei schwangeren Frauen lieber mittels MRT ab.
D-Dimere eventuell unterstützend
D-Dimere sind Spaltprodukte von Fibrin, einem Eiweiß der Blutgerinnung. Sie entstehen, wenn sich ein Blutgerinnsel auflöst. Den Blutwert der D-Dimere bestimmen Mediziner vor allem bei Verdacht auf einen gerinnselbedingten Gefäßverschluss (Thrombose, Embolie). Hauptsächlich ist das bei einer möglichen Beinvenenthrombose oder Lungenembolie der Fall.
Der Stellenwert der D-Dimere bei der Diagnose einer Hirnvenenthrombose beziehungsweise Sinusvenenthrombose ist allerdings umstritten.
Dieser Blutwert reicht daher nicht aus, um eine solche venöse Thrombose im Gehirn ohne zerebrale Bildgebung sicher nachzuweisen oder auszuschließen. Der D-Dimer-Test kann höchstens die Diagnose unterstützen ? unter Berücksichtigung des erwähnten unklaren Stellenwerts.
Hirnvenenthrombose: Therapie
Die Akut-Behandlung der Sinus- beziehungsweise Hirnvenenthrombose erfolgt am besten auf einer sogenannten Stroke Unit. Das ist eine auf die Behandlung von Schlaganfall spezialisierte Abteilung in einem Krankenhaus.
Dort überwacht das medizinische Personal die Vitalzeichen (z.B. Puls, Sauerstoffsättigung im Blut) der Patientinnen und Patienten engmaschig per Monitor. So sehen die behandelnden Ärzte rechtzeitig, wenn sich der Zustand eines Betroffenen verschlechtert oder Komplikationen auftreten. Sie können dann schneller reagieren.
Spätestens bei Anzeichen für einen erhöhten Hirndruck (z.B. starke Kopfschmerzen, Nüchtern-Erbrechen, Hirnnervenstörungen, verlangsamter Herzschlag) sollten Betroffene in ein Zentrum mit interventioneller Neuroradiologie und Neurochirurgie verlegt werden. Die interventionelle Neuroradiologie ist ein Teilgebiet der Radiologie. Dabei führen Ärzte gezielte Eingriffe am Nervensystem im Rahmen radiologischer Bildgebungsverfahren wie MRT durch.
Medikamentöse Gerinnungshemmung (Antikoagulation)
Bei einer Hirnvenenthrombose bzw. Sinusvenenthrombose verabreichen Ärzte gerinnungshemmende Medikamente. Diese verhindern, dass ein Blutgerinnsel immer weiter wächst und sich neue Gerinnsel bilden.
Heparin
In der Akutphase einer Thrombose geben Ärzte zur Antikoagulation Heparin ? auch wenn gleichzeitig eine Hirnblutung vorliegt.
Dafür verwendet man bevorzugt niedermolekulares (fraktioniertes) Heparin (NMH). Es gibt nämlich Hinweise auf eine bessere Wirksamkeit und weniger Blutungskomplikationen im Vergleich zu hochmolekularem (unfraktioniertem) Heparin (UFH).
Außerdem ist NMH einfacher in der praktischen Anwendung ? es kann unter anderem einfach unter die Haut gespritzt werden, während UFH über eine Spritzenpumpe als Infusion in eine Vene geleitet wird.
Besonders in der Akutphase, wenn die Erkrankten noch überwachungspflichtig auf der Stroke Unit sind, empfehlen Experten, niedermolekularem Heparin den Vorzug vor hochmolekularem Heparin zu geben.
Allerdings ist unfraktioniertes Heparin bei Patienten von Vorteil, bei denen kurzfristig ein operativer Eingriff notwendig werden könnte. Nach Absetzen von UFH normalisiert sich die Blutgerinnung schneller (innerhalb von ein bis zwei Stunden) als nach dem Absetzen von NMH. Das ist wichtig, um schwere Blutungen bei einer kurzfristig angesetzten OP zu vermeiden.
Außerdem setzt man UFH ein, wenn der Patient oder die Patientin kein niedermolekulares Heparin erhalten darf ? weil es beispielsweise nicht vertragen wird.
Eine Sinusvenen- oder Hirnvenenthrombose in der Schwangerschaft oder im Wochenbett wird mit niedermolekularem Heparin behandelt. Bei Frauen im Wochenbett kann alternativ aber auch der Gerinnungshemmer Warfarin gegeben werden. Warfarin geht nur in sehr geringer Menge in die Muttermilch über.
Antikoagulantien
Antikoagulantien verdünnen das Blut. Sie sind im Volksmund als ?Blutverdünner? bekannt. Diese Medikamente bewirken, dass das Blut langsamer gerinnt (?fest wird?) und sich beispielsweise Thromben viel langsamer bilden.
Vor allem in der Akuttherapie sind Antikoagulantien relevant für die Behandlung einer Hirnvenenthrombose. Sie sorgen dafür, dass der Zustand sich nicht verschlimmert, weil sie das Blut daran hindern, sich an dem schon vorhandenen Blutgerinnsel anzulagern. So wächst es zumindest nicht weiter.
Zu den eingesetzten Medikamenten zählen die Faktor-Xa-Hemmer und die Thrombin-Hemmer. Sie gehören zu unterschiedlichen Medikamentengruppen, haben aber die gleiche Wirkung: Der Thrombus wächst langsamer oder im besten Fall gar nicht mehr. Allerdings dürfen diese Medikamente vor einer OP nicht eingenommen werden, weil sie das ohnehin erhöhte Blutungsrisiko bei einer Operation ansteigen lassen.
Bei der Hirnvenenthrombose kann es im Verlauf zu einem erhöhten Hirndruck kommen. Das würde eine Operation möglicherweise notwendig machen. Weil man das vorher nicht wissen kann, dürfen Antikoagulantien nicht bedenkenlos eingesetzt werden. Eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Analyse muss individuell vorgenommen werden, um für jeden Patienten die beste Wahl zu treffen. Experten raten aber generell eher zur Gabe der Antikoagulantien, besonders in der Akutphase.
Vitamin-K-Antagonist
Sobald ein Patient stabilisiert ist, stellt man die Antikoagulation um: von Heparin-Spritzen oder -Infusionen auf Tabletten mit Vitamin-K-Antagonisten (Cumarine). Diese Gerinnungshemmer verhindern, dass Vitamin K die Vorstufen von Blutgerinnungsfaktoren in ihre aktive Form umwandelt.
Diese orale Antikoagulation beugt einem Rückfall vor ? also einer erneuten Sinus- beziehungsweise Hirnvenenthrombose. Sie kann für drei bis zwölf Monate fortgesetzt werden. Bei Patienten mit schwerer Thromboseneigung (Thrombophilie) ist gegebenenfalls die langfristige Einnahme der Tabletten angezeigt (allerdings unter regelmäßiger Nutzen-Risiko-Abwägung).
Weitere Therapiemaßnahmen
Je nach Bedarf umfasst die Therapie einer Sinus-/Hirnvenenthrombose noch weitere Maßnahmen:
Hirndrucktherapie
Bei bis zur Hälfte aller Patienten mit Sinus-/Hirnvenenthrombose zeigt sich in der Bildgebung eine Hirnschwellung (Hirnödem). Gezielte Maßnahmen, die den Hirndruck senken, sind aber nur bei wenigen Betroffenen notwendig:
Als allgemeine Maßnahme empfiehlt sich zum Beispiel, den Oberkörper um 30 Grad hochzulagern.
Gegebenenfalls ist zur schnellen Druckentlastung auch das Entfernen des Schädeldaches (Kraniektomie) nötig. Das gilt bei Patienten mit akuter Sinus-/Hirnvenenthrombose, Schäden (Läsionen) am Hirngewebe (durch Hirnschwellung infolge des gestörten venösen Abflusses und/oder einer Hirnblutung) und drohender Einklemmung von Hirnarealen. Bei diesen Betroffenen kann der Eingriff lebensrettend sein!
Gabe von Antiepileptika
Hat der Patient aufgrund der Sinus-/Hirnvenenthrombose einen epileptischen Anfall erlitten, verschreibt man spezielle Antiepileptika. Diese Medikamente reduzieren die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Anfall.
Schmerzbehandlung
Die Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten (Antikoagulation) kann auftretende Schmerzen bei einer Sinus-/Hirnvenenthrombose ursächlich behandeln. Zusätzlich ist eine symptomatische Schmerzlinderung möglich, beispielsweise durch die Gabe des Schmerzmittels Paracetamol. Bei heftigeren Schmerzen kann der behandelnde Arzt auch stärkere Schmerzmittel (Opioide) verabreichen.
Acetylsalicylsäure (ASS) sollte keinesfalls zur Schmerzlinderung gegeben werden! Der Wirkstoff hat gerinnungshemmende Eigenschaften, die zu einem erhöhten Blutungsrisiko führen können, falls ein Patient kurzfristig operiert werden muss.
Maßnahmen bei septischer Hirnvenenthrombose
In der Akutphase einer septischen Hirnvenenthrombose beziehungsweise Sinusvenenthrombose umfasst die Therapie neben der Antikoagulation (mit Heparin) oft die Gabe von Antibiotika. Das kommt auf die ursächliche Krankheit an. Gegebenenfalls muss auch operiert werden, zum Beispiel bei einer akuten Entzündung des Warzenfortsatzes (Mastoiditis) oder einer Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis).
Hirnvenenthrombose: Prognose
Im Vergleich zu anderen Formen von Schlaganfall ist die Prognose verhältnismäßig günstig bei Hirnvenenthrombosen und Sinusvenenthrombosen.
Die Chancen auf Heilung stehen bei richtiger Behandlung gut: Innerhalb mehrerer Wochen bis Monate werden bei den meisten Patienten die zuvor verschlossenen Hirnvenen bzw. Hirnblutleiter ganz oder teilweise wieder durchgängig. Manche Symptome bleiben gelegentlich zurück, vor allem Kopfschmerzen und epileptische Anfälle.
Bei einem kleinen Teil der Patienten führt die Sinus- beziehungsweise Hirnvenenthrombose zum Tod.
Prognosefaktoren
Bei den folgenden Faktoren lässt sich eher ein günstiger Verlauf erwarten:
- Sinus-/Hirnvenenthrombose im Rahmen von Schwangerschaft, Wochenbett oder unter Einnahme oraler Verhütungsmittel
- Kopfschmerzen als einziges Anfangssymptom
Prognosefaktoren, die für einen ungünstigen Verlauf bei einer Sinus-/Hirnvenenthrombose sprechen, sind:
- Lähmungen (Paresen)
- Koma
- Männliches Geschlecht
- Hohes Alter
- Thrombose der inneren Hirnvenen
- Stauungsblutungen
Hirnvenenthrombose vorbeugen
Einer Sinus-/Hirnvenenthrombose kann man nur mit Einschränkungen von Anfang an (Primärprophylaxe) vorbeugen: Es gilt in jedem Fall, veränderliche Risikofaktoren für eine Gerinnselbildung (wie Rauchen, Übergewicht, fettreiche Ernährung usw.) zu reduzieren.
Hat der Patient oder die Patientin bereits eine Hirnvenenthrombose erlitten, lässt sich mittels Sekundärprophylaxe das Risiko für eine weitere venöse Thrombose im Gehirn (oder anderswo im Körper) reduzieren:
Frauen, die schon einmal eine Sinus-/Hirnvenenthrombose im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Wochenbett oder der Einnahme hormoneller Verhütungsmittel (?Pille?) hatten, sollten auf die orale Einnahme von hormonell wirksamen Verhütungsmitteln verzichten.
Mediziner verschreiben solchen Frauen bei einer (erneuten) Schwangerschaft vorbeugend niedermolekulares Heparin bis sechs Wochen nach der Entbindung. Mögliche Gegenanzeigen (Kontraindikationen) müssen individuell berücksichtigt werden.
Bei Kindern und Jugendlichen mit einer Sinus-/Hirnvenenthrombose in der Vorgeschichte wird die vorbeugende Anwendung von niedermolekularem Heparin in Situationen empfohlen, in denen ein erhöhtes Risiko für eine erneute Hirnvenenthrombose oder einen anderen gerinnselbedingten Gefäßverschluss besteht. Dazu gehören etwa eine mehr als vier Tage andauernde Bettlägerigkeit (Immobilisierung), eine mehr als vierstündige Flugreise oder bei einer rheumatischen oder Krebs-Erkrankung.
Bei Erwachsenen mit vorausgehender Sinus-/Hirnvenenthrombose sollte in Risikosituationen (z.B. größere Operation im Bauch-/Beckenbereich, stationäre Krebsbehandlung, längere Bettlägerigkeit bei akuter Erkrankung) einer erneuten Gerinnselbildung medikamentös vorgebeugt werden.
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