Kalt, kälter, Winter-Biwak
Brrr, was für eine Nacht. Kalt, lang, aber sternenklar und wunderschön. Die Temperaturen vermutlich im zweistelligen Minusbereich. Einen Thermometer brauchen wir dafür nicht. Die Labels unserer Schlafsäcke weisen einen Komfort-Bereich von ca. -9°C auf. Jene Temperatur, bei der eine durchschnittliche Person gerade noch nicht friert. Naja, wir haben gefroren. Daher zweistellig, aber ganz bestimmt nicht durchschnittlich.
Wir sitzen am Gipfel und erfreuen uns an den ersten Sonnenstrahlen, die sich mühsam von Osten her ihren Weg über die Berggipfel zurück erobern. Stück für Stück rückt sie näher, die Wärme, das Gefühl von „hach, überstanden". Wir werfen den Gaskocher an und setzen erstmal Kaffee auf. Gewärmt wird jetzt von innen und außen. Wenige Minuten später blendet uns die volle Stärke der aufgehenden Sonne. Wir genießen diesen Moment, beobachten die umher schwirrenden Vögel – die wohl keinen Wurm mehr abkriegen – und erspähen schon die ersten Skitouren-Geher auf den gegenüberliegenden Gipfeln.
Gipfelglück statt Glück auf
Es ist bereits über ein Jahr her, dass wir eine winterliche Nacht im Freien verbrachten. Also aller höchste Eisenbahn, mal wieder die Daunenschlafsäcke auszupacken. Wir schlafen ja öfters unter freiem Himmel – im Sommer, wenn es angenehm warm ist, man abends gemütlich am Berg beisammen sitzen kann und die Stille bei einem guten Glas Wein genießt ohne es durch das Zittern zu verschütten. Nach Monaten der Abstinenz empfinden wir die Decke in unseren häuslichen Schlafzimmern allerdings mehr als erdrückend. Und wenn man das Gefühl hat, das einem „die Decke auf den Kopf fällt" sollte man diese einfach entfernen. Nun wären die Nachbarn oberhalb wohl wenig erfreut, wenn wir mit Hammer und Meißel anfangen, uns von der Beklemmung zu befreien. Also nix wie raus in die Berge und die vorhergesagte, sternenklare Nacht genießen.
Gegen Mittag brechen wir auf. Der Rucksack-Vergleich erinnert an letztes Jahr. Von klein kompakt, bis hin zu 50+ Liter ist alles dabei. Was zum Kuckuck nehmt ihr bitte mit? Ein kurzer Stop beim Supermarkt und schon steht einem kulinarischen Abenteuer nichts mehr im Wege. Würstel zum Grillen, Schoko als Nachspeise und Eier zum Frühstück. Klingt nach einem Plan. Als wir dann zwei alkoholfreie Bier in den Einkaufswagen packen, erstarrt Klaus ganz kurz und meint „Mit wem bin ich da bloß unterwegs".
Lastenesel hoch 3
Bislang haben wir den Winter für weite und hohe Touren genutzt, unser Gepäck auf ein Minimum reduziert und versucht, so wenig Gewicht wie möglich mit zu schleppen. Außer bei den Skiern, da haben wir nie gespart. Unter 106 mm Mittelbreite findet man bei uns ohnehin nichts. Selbst bei einem kürzlich stattgefundenen Skitouren-Rennen hatten wir höchstwahrscheinlich die dicksten Schlappen am Start. Nun aber ist der Rucksack voll mit Iso-Matte, Schlafsack, Gaskocher, alkoholfreiem Bier, Schoko und was man sonst noch so alles für eine erfolgreiche Nacht im Freien benötigt. Wir schleppen wie die Weltmeister und schwitzen am Weg zu unserem Freiluft-Hotel.
Aber auch der anstrengendste Weg ist irgendwann vorbei. Und so kommen wir am späten Nachmittag glücklich und fröhlich am Gipfel an. Nun heißt es Feuerholz von den abgestorbenen Bäumen sammeln und einen Biwak-Platz schaufeln. Eines lernten wir aus dem Abenteuer vom letzten Jahr: ein Windschutz ist Gold wert … oder zumindest eine wärmere Nacht, denn kein Gold der Welt hält uns warm. Also buddeln wir, Baumeister Klaus gibt vor und wir anderen schauen zu. Irgendjemand muss ja auch den Überblick behalten.
Wind-Chill, was ist das?
Es weht ein eiskalter Wind, selbst in der Sonne sind wir weit entfernt von angenehmen Temperaturen. Wir huschen daher alsbald auf unser tief in den Schnee gegrabenes Nacht-Platzerl und machen Feuer. Hier hilft uns die leichte Brise beim Entfachen und im Handumdrehen haben wir eine Grillplatz. Würstel am Steckerl und Bier, was will man mehr. Doch selbst das Feuer kann uns nicht richtig aufwärmen und so verabschieden wir zu später Stunde (es war 21:30 Uhr) in die warmen Schlafsäcke.
Was anfangs noch ganz kuschelig war, entpuppt sich leider alsbald als eher grenzwertig. Kurzum: es war deutlich kälter als jene Temperatur, die unsere Schlafsäcke im Stande sind abzuwehren. Der Wetterfrosch lag mal wieder daneben. Aber es war auch weit davon entfernt, unerträglich zu sein. Ein guter Rhythmus aus schlafen, aufwachen, enttäuscht sein weil es immer noch dunkel ist, die kalte Nase reiben, drei mal umdrehen, etwas frieren und wieder einschlafen begleitet uns die ganze Nacht. Zum Glück ist die Zeitumstellung auf unserer Seite und schiebt den Stundenzeiger nachts mal um ein kleines Stück nach vor. Und irgendwann wachen wir auf, der Sternenhimmel hat seinen Kontrast verloren und am Rande des Horizonts können wir bereits die aufgehende Sonne erahnen. Wir haben es geschafft. Also nix wie raus aus unserem Loch und die wenigen Meter zum Gipfel … Sonne, Kaffee und gute Freunde.
Müde Beine oder was?
Wir haben noch keinen Plan, was wir mit dem angebrochenen Tag machen. Aber als wir uns umblicken und die zahlreichen Berggipfel erspähen wird klar, das wir auch noch eine kleine Tour auf einen der Nachbar-Gipfel machen. Also packen wir wieder alles zusammen, stopfen das Zeug in unsere Rucksäcke und fahren den Nordhang unseres Schlafplatzes in feinstem Pulver ab. An einer Hütte hinterlegen wir das Biwak-Equipment und machen uns auf den Weg zum nächsten Gipfel. Auch wenn der Rucksack heute wieder Normal-Gewicht hat, sind die Beine aufgrund der schlaflosen Nacht müde. Jeder Schritt wird zur Qual und das beste Mantra ist gerade gut genug um uns weiter zu motivieren. Kurze Zeit später sitzen wir am Gipfel und genießen bei angenehmen Plus-Graden das Panorama. Klaus meint, es sei wohl keine so gute Idee gewesen, Alkohol zu trinken und wir erinnern ihn gerne und mit einem Schmunzeln im Gesicht, an den Supermarkt. Aber es hat vermutlich geschmeckt. Wir sind froh, nicht mehr frieren zu müssen und sind uns einig, dass das nächste Biwak im Sommer sein wird. Wir haben jetzt die Schnauze voll von kalten Nächten. Die letzte Tafel Schoko wird geteilt und dann geht’s ab nach Hause. Der Weg zurück ist allerdings nicht einfach und wir müssen die Felle mehrmals abziehen und wieder auffellen. Dafür warten noch zwei tolle Rinnen südseitig, der Schnee ist butterweich und wir gleiten dahin. Die ständigen Gegenanstiege lassen uns schwitzen und vor der letzten Abfahrt sitzen wir bereits wieder im Schatten und grübeln: „Ob wir vielleicht doch noch mal ein Winter-Biwak einschieben?" … Wie gut, dass der Mensch so schnell vergisst.