Von Risiken und Wüstensand – zu Besuch bei den Nomaden der Sahara
Text: Andreas Jaritz, Fotos: Judith Recher / Lupi Spuma
Nachdem wir unseren Dreh in Marrakesch abgeschlossen hatten, entschlossen wir uns für die Weiterfahrt nach Osten, statt zurück an den Atlantik zu fahren. Eine risiko- und folgenreiche Entscheidung, bedenkt man, dass wir mit Beyond eigentlich an einem Surf-Movie arbeiten und wir im wahrsten Sinne des Wortes in der Sahara bald auf dem Trockenen sitzen sollten. Surfen und Wüste? Das will nicht nur oberflächlich betrachtet so gar nicht zusammen passen. Doch wie so oft sollte es anders kommen: Klischee gekillt durch Realität, dem Vorurteil fällt der Lehmziegel der menschlichen Offenheit und Neugier auf den Kopf. Was man plant, das Risiko, das man vorab kalkuliert – alles gut und schön. Doch manchmal muss man seinem Instinkt folgen, der Neugier nachgeben und der Sicherheit für einen Moment entkommen. Nur so kann Neues, Unentdecktes erfahren werden. Hat jemand, der einen Surf-Film macht, schon mal über die Wüste berichtet? Wahrscheinlich nicht. Hat die Weite der Wüste nicht auch etwas mit der Weite des Ozeans gleich? Aha! Und nennt man Kamele nicht auch Wüstenschiffe? Ja!
Bereits die Fahrt hin zu den Ausläufern der größten Trockenwüste der Welt gestaltete sich entgegen all unseren verklärten Erwartungen sehr abwechslungsreich und war voller Staunen. Ein Meer an Geschichten und eine Fülle an Erlebnissen sollten uns erwarten: Nachdem wir im Osten die Ausläufer des Hohen Atlas mit unseren bis unter das Dach beladenen Pickups erklommen hatten, schlängelte sich unsere groteske Minikarawane zäh entlang des Dra Flusses, vorbei an imposanten Kasbahs, den Lehmburgen vergangener Berberfürsten, und unzähligen Dattelpalmenhainen. Immer der Wüste und somit uns gänzlich unbekannten Ufern entgegen.
Bei den Nomaden der Wüste
In Zagora, einem einst auf der Karawanenroute zwischen Timbuktu und Marrakech gelegenen Dorf (und später Zwischenstopp der berühmten Rallye Paris-Dakar), erwartete uns eines der prägendsten Erlebnisse der gesamten Drehreise: ein Besuch bei den Nomaden der Wüste, den wenigen, die es in der Sahara noch gibt.
Wohl keine andere Menschengruppe hat ihre Lebensweise und die Nutzung von Alltagsgegenständen so optimiert, wie die Wanderbewohner der Wüste. Das „Weniger-ist-mehr“ haben die Wüstenbewohner der Sahara über Jahrhunderte bis zur Perfektion optimiert. Weniger Besitz heißt mehr Freiheit und Beweglichkeit, weniger Mühsal, weniger Verlust. Weniger heißt mehr vom Leben. Die Nomaden der Sahara sind keine Leute, die Unmengen an Besitz anhäufen. Warum auch, das ergibt für sie keinen Sinn. Die Fülle entsteht bei den Nomaden durch die Leere. Die Wüste ist für sie ein Ozean voller Geschichten und Erlebnisse.
Halal, ein von Nomaden abstammenden Marokkaner der Region Zagora, besitzt sogar ein Haus - Nomaden sind heute zumeist nur noch Halbnomaden, wenn überhaupt: „In meinem Haus habe ich nur das Nötigste, aber nicht, weil ich mir nichts leisten könnte, sondern weil ich es nicht haben will.“ Sich dessen bewusst, dass er wahrscheinlich der letzten so denkenden Generation angehört, verzichtet Halal auch gänzlich auf Medien. Lesen und Schreiben kann er nicht. Dafür kann er andere Dinge. Um zu lernen, was vor sich geht, und um Wissen aufzubauen, spricht er mit anderen Menschen. Der Mensch ist das Medium. Wir können vom Erbe der Nomaden einiges lernen. Und von der Wüste, die sich als lebendiger erwiesen hat, als man an ihrer Oberfläche vermuten möchte. So wie der Ozean.
Info über das Projekt:
Dieser Text von Andreas Jaritz beschreibt Impressionen vom nördlichen Teil der Drehreise von Beyond – An African Surf Documentary. Ein Film, produziert von den Machern von The Old, the Young & the Sea, der ein 6-köpfiges Filmteam in einer 3-monatigen Drehreise durch Marokko, Mauretanien und Senegal führte, um dort einen Surf Movie zu drehen, der das Leben und die vielschichtigen Kulturen der lokalen Bevölkerung einfängt. Auf der Website des Films gibt es viele weitere Beyond Surf Movie Stories über Marokko, Mauretanien und Senegal.
Movie Release: Herbst 2017